Franke, Herbert W.: Sphinx_2. Roman.
Buchtipps | Fantasy und Science-Fiction
Das elegant gestaltete Titelbild (vier offenbar identische Männer blicken auf eine sie von unten beleuchtende Lichtquelle, durch die nur ihre Gesichter aus dem schwarzen Hintergrund hervorgehoben werden) und der vielversprechende Text auf der Buchrückseite verleiteten mich zum Lesen. Und obwohl das Buch nicht ist, was der Werbetext verspricht („Der große Gentechnik-Roman des wohl bekanntesten deutschen SF-Autors“), ist es gut.
Erstens könnte man Franke wohl auch als österreichischen Autor bezeichnen, ist er doch in Wien geboren. Zweitens ist das kein Gentechnik-Roman, denn es kommt darin nur eine einziges Problem aus dem Spektrum der Gentechnik zur genaueren Behandlung, das Klonen.
Der Held ein Klon
Der Held des Romans, Gareth, ist nämlich ein Klon, wie er im Anfangsbereich des Romans erfährt. Ein Klon des berühmten Physikers und Informatikers Troy Dryer, dem es als erstem gelungen ist, einen intelligenten Computer zu entwickeln.
Die Handlung spielt in unbestimmter Zukunft, als auf der Erde nur noch zwei Machtbereiche existieren: 1. die Union unabhängiger Stadtstaaten, die aus vielen von Spezialglaskuppeln überwölbten und durch unterirdische Gänge verbundenen Städten besteht, die für sich alle Annehmlichkeiten der Welt reserviert haben, und 2. die Allianz-Staaten, also der Rest der Welt, der von allen Reichtümern abgeschnitten ist und dessen Bewohner in einer devastierten Welt großteils im Elend leben.
Organspender
Zu Beginn wird Gareth aus einem eintönigen, aber abgesicherten Leben als Wissenschaftler gerissen, weil er krank ist und seine Lunge wegoperiert werden muss. Doch er kann sich des Befundes bemächtigen und erfährt von einer Medizinstudentin, dass alles ganz normal sei. Bald stellt sich heraus, dass Gareth als Organspender für seinen „Vater“ Troy Dryer herhalten soll, der einen Unfall gehabt habe.
Gareth lehnt sich dagegen auf und ergreift die Gelegenheit zur Flucht, die ihm zwei Vertreter einer Untergrundorganisation verschaffen. Dafür muss er nun seinerseits im Untergrund an Aktionen teilnehmen.
Eine Versammlung hoher Politiker soll zu einer friedlichen Demonstration umfunktioniert werden. Man schleicht sich durch das unterirdische Transportsystem an das Gebäude an, dringt in den Versammlungssaal ein, bemächtigt sich des Rednerpults und hält eine Freiheitsrede, der via TV alle Leute zusehen können. Doch die Aktion läuft eher schief, Gareth setzt sich jedoch vor seiner Verhaftung ab und kann aus der Glaskuppel flüchten. An der Grenze wird er jedoch von den Beamten der Allianz als verdächtig eingestuft und in Gewahrsam genommen.
Wertvolles Tauschobjekt
Man erkennt ihn als den Klon Dryers und damit als ein wertvolles Tauschobjekt. Doch der geplante Austausch (dem zur Ablenkung Gareths ein Guerilla-Training in einem Camp vorausgeht) wird vereitelt – durch eine hohe Beamtin der Allianz, die sich in Gareth verliebt hat. Sie schleust Gareth unter fremdem Namen in ein abgelegenes Dorf ein, wo Anhänger einer obskuren Sekte wohnen – und das zufällig der Geburtsort Troys ist. Alle nehmen Gareth freundlich auf, weil er sie so an den entschwundenen Troy erinnert. Troy ist nämlich vor vielen Jahren in eine Kuppelstadt ausgewandert, um dort besser studieren zu können. Er hat sich schrittweise nach oben gearbeitet. Im Geheimen hat er einen sich auf biologischem Weg selbst weiterentwickelnden Supercomputer gebaut, der von Tag zu Tag gescheiter wird und als die erste wirklich diesen Namen verdienende KI (künstliche Intelligenz) anzusehen ist. Troy hat dem Computer ein „Gesicht“ gegeben, das der Sphinx von Gizeh, und den Namen Sphinx_2, in Anlehnung an ein erstes Sphinx-Projekt des Verteidigungsministeriums. Die Sphinx_2 befindet sich in einem völlig abgeschirmten Forschungszentrum in den Bergen von Nevada, keine 100 Kilometer von Troys Geburtsort entfernt.
Von dem bricht Gareth nach unangenehmen Erfahrungen mit den Sektierern zu einem Stützpunkt der Allianz auf einem Berg ganz in der Nähe des Forschungszentrums auf, um dort an der Abhörung der Aktivitäten der Union mitzuarbeiten. In einem ehemaligen Observatorium haben sich Computerfreaks zum Ziel gesetzt, den feindlichen Supercomputer außer Gefecht zu setzen. Dazu will ein Trupp von Kämpfern in das Forschungszentrum Dryers eindringen und die Sphinx (Nummer 1, von der dahinter steckenden Sphinx_2 weiß ja niemand etwas) zerstören. Gareth soll mit, weil er so gut im Codeknacken ist.
Die Kampfgruppe dringt auch nach abenteuerlichem Anmarsch tatsächlich in die Forschungseinrichtung ein, wird aber sofort unschädlich gemacht. Um seine Freunde zu retten, bietet sich Gareth als Organspender für Dryer an, gegen freies Geleit für die anderen. Diese werden tatsächlich freigelassen, nur Gareth bleibt da.
Super-Friedensmaschine
Nun, knapp vor dem Ende des Romans, kommt es endlich zu Begegnung von „Vater und Klon“. Dryer hat von Gareths Existenz lange nichts gewusst, da Gareth ohne Dryers Wissen angefertigt wurde, rein als Vorsichtsmaßnahme der Regierung. Erst Troys Freundin Carline hat Gareth aufgespürt und wollte ihn als Organspender heranziehen. Allerdings geht es nicht um die Lunge, sondern um das Kleinhirn, das Dryer bei einem Attentat zerschossen wurde. Doch Dryer will Gareths Kleinhirn gar nicht, da ihm die Transplantation zu unsicher wäre, sondern er will sich für hundert Jahre einfrieren lassen.
Den Anschlag auf ihn übten übrigens Militärkreise aus dem eigenen Lager aus, da Troys Sphinx_2 sich nicht als Super-Kriegsmaschine erwiesen hat, sondern als Super-Friedensmaschine. Nun soll Troy ausgeschaltet werden und die Sphinx_2 mit ihm. Da das Attentat fehlgeschlagen ist (Troy ist ja noch am Leben und geistig voll da), greift man zur Gewalt. Um einer militärischen Einnahme der Forschungsstelle zu entgehen, sprengt Troy den Berg oberhalb des Gebäudes, sodass dieses völlig im Schutt begraben wird. Vorher haben er und Carline sich eingefroren, und die Sphinx hat alles auf Autarkie eingestellt, sodass die beiden Eiszapfen 100 Jahre lang verschüttet erhalten bleiben sollen.
Gareth verraten die beiden einen Notausgang, durch den er sich retten kann. Freiheit! Ende.
Hölzerne Figuren
Im Roman spielen nacheinander einige Frauen eine Rolle für Gareth, mit denen er sich sexuell einlässt, die dann – mit Ausnahme der letzten – wieder spurlos von der Bildfläche verschwinden. Allesamt sind es recht hölzerne Figuren. Frankes Stärke liegt im SF-Kernbereich, der Schilderung technischer Apparate und Vorgänge.
Der Roman ist recht kunstvoll aufgebaut. Der erste Teil wird abgerundet, indem auktorial erzählte Partien mit Aussageprotokollen verschränkt werden, die Gareth erst am Ende dieses ersten Teils vor den Beamten der Allianz gemacht hat. Im zweiten Teil erfährt man immer mehr über Troy Dryer, dessen Leben in einem von ihm selbst verfassten Bericht zwischen die Erzählabschnitte eingeschoben ist. Im dritten Teil, „Sphinx“, gibt es neben den erzählenden Teilen und dem Lebensrückblick Troys noch dessen Gespräche mit der Sphinx.
Wie kommen die Verlagsleute auf die Idee, das Buch als Gentechnik-Roman zu bezeichnen?
Wohl deshalb, weil man das Buch als ein Werk über die Lebensproblematik eines Klons lesen kann, der über seine Existenz nachzudenken beginnt, weil sei ihm genommen werden soll. Dieser Aspekt wird aber niemals dominierend, sondern läuft als kleiner philosophischer Strang nebenher. Genauso könnte man das Buch als einen Roman über einen Kalten Krieg der Zukunft lesen. Oder als einen Roman der Künstlichen Intelligenz.
Jedenfalls war er ziemlich spannend und eine anregende Lektüre.
Herbert W. Franke: Sphinx_2. Roman.
dtv 2004, 409 Seiten
Signatur: D / FRA
© W. Krisai
Bild © Constantin Bayer, 4C, 2017