Geiger, Arno : Es geht uns gut. Roman

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Dieser Roman hat zu recht Anklang gefunden, ist voller interessanter Details, kenntnisreich geschrieben, lebensprall und stilistisch ganz „normal“, sodass die Lektüre nicht durch experimentelle Peinlichkeiten erschwert wird. Lediglich ein paar sprachliche Schnitzer (unpassende Verwendung von umgangssprachlichen Wendungen, wo dies einfach unnötig ist) stören, aber sie fallen dann doch nicht so sehr ins Gewicht.

Der Roman erzählt die Geschichte einer österreichischen Familie über drei Generationen. Jedes Kapitel ist in einem anderen Jahr angesiedelt – außer den vielen Kapiteln, die in der Gegenwart spielen, nämlich im Jahr 2001, und die jeweils zwischen die Vergangenheitskapitel eingeschoben sind.

Da sind zunächst die Großeltern: Richard und Amalie. Richard war kurz nach dem zweiten Weltkrieg Minister, wurde dann fallen gelassen und gewissermaßen pensioniert. Im Lauf der Jahre wird er immer seniler, sodass er zum Schluss in ein Pflegeheim gebracht werden muss. Amalie betätigt sich als Bienezüchterin. Ihr Sohn Otto ist im Krieg gefallen,  Tochter Ingrid hat gegen den Willen des Vaters den Sohn eines ehemaligen Nazis geheiratet.
Dieser, Peter, war als Jugendlicher noch in den letzten Kriegstagen im Wiener Volkssturm und hat einige grausige Szenen miterlebt, die eindrucksvoll geschildert werden. Nach dem Krieg versucht sich Peter als Verleger eines Brettspiels namens „Kennst du Österreich“, kann davon aber nicht leben. Ingrid unterstützt ihn. Peter findet dann eine Anstellung  beim Kuratorium für Verkehrssicherheit, für das er neuralgische Kreuzungen in ganz Österreich analysieren muss. Ingrid wird Ärztin und ist sozusagen Chef der Familie. Allerdings kommt sie auf tragische Weise um: Beim Schwimmen in der Donau taucht sie hinunter, verhängt sich mit dem Armreifen in einem am Grund liegenden Fahrrad und ertrinkt.
Übrig bleibt Peter mit seinen beiden Kindern.

Philipp, Peters Sohn, ist sozusagen die Hauptperson des Buchs, denn er ist der Protagonist der 2001-Kapitel. In diesem Jahr hat er das alte Haus der Großmutter in Hietzing geerbt, auf dessen Dachboden seit Jahrzehnten Tauben hausen und den Boden mit 10 Zentimeter Taubendreck bedeckt haben. Nun organisiert Philipps verheiratete Freundin Johanna (die Liebesbeziehung ist reichlich holprig) zwei Schwarzarbeiter, die den Dachboden räumen, das Haus in Schuss bringen – und gleich bei Philipp einziehen. Philipp ist ein totaler Versagertyp, was ihm sein Vater immer schon vorgeworfen hat. Die beiden Schwarzarbeiter, ein Österreicher mit dickem Merzedes und ein Ukrainer, sind etwas dubiose Figuren, doch Philipp freundet sich so weit mit ihnen an, dass er sie sogar fragt, ob sie ihn zur Hochzeit des Ukrainers in dessen Heimat mitnehmen. Vor der Abfahrt dorthin wird noch das Dach des Hauses renoviert, und Philipp organisiert eine spontane Dachgleichen-Feier im Garten, zu der allerdings nur zwei ältliche Nachbarn und die beiden Pfuscher erscheinen. Leicht illuminiert klettern Philipp und der Österreicher aufs Dach, Philipp setzt sich rittlings auf den First und fühlt sich, als würde er im nächsten Augenblick samt dem Dach davonfliegen. Damit endet der Roman – etwas surrealistisch, was er sonst keineswegs ist.

Was diese kurze Handlungszusammenfassung nicht bieten kann, ist ein Eindruck von der Fülle an Detailwissen, das in dem Roman verarbeitet ist. Ob es sich nun um Bienenzucht oder „Straßenkreuzungsanalyse“ handelt, Arno Geiger wusste sich kundig zu machen und die Informationen geschickt in den Roman einzubauen. Auch das historische Wissen des Autors ist beeindruckend, denn auch jene Kapitel, die in weit zurückliegenden Jahren situiert sind, strotzen genauso von Lokal- und Zeitkolorit wie die Gegenwartskapitel. Eine beachtliche Leistung, die zu recht mit einem ordentlichen Preis ausgezeichnet wurde. Arno Geigers schriftstellerische Laufbahn muss man weiter verfolgen.

Arno Geiger: Es geht uns gut.

Roman. Hanser, München 2005. Ca. 400 Seiten.

Signatur: D / GEI

©  W. Krisai