Anna Kauer, 4C: Wetter, 2017

Anna Kauer, 4C: Wetter, 2017

Haas, Wolf: Das Wetter vor 15 Jahren

Buchtipps | Literatur

Wolf Haas? Ein neuer Brenner-Krimi! (Leider?) Nein, sondern ein „Interview-Roman“. Das scheint jetzt in Mode zu sein, dass man das althergebrachte Erzählen umgeht, siehe E-Mail-Roman von Daniel Glattauer. Aber Wolf Haas kann’s doch nicht lassen: In mehreren Interviewsitzungen entwickelt sich vor dem Leser doch eine (fast) ganze Geschichte:

Ein Schriftsteller namens Wolf Haas gibt seiner Interviewerin von der Literaturbeilage einer großen Zeitung Auskunft über seinen letzten Roman. Die Anregung dazu hat ihm ein Mann gegeben, der in der Sendung „Wetten, dass…“ die Wetterdaten der letzten 15 Jahre von einem österreichischen Bergdorf hersagen konnte. Dieser Vittorio Kowalski hat in seiner Kindheit mit seinen Eltern viele Urlaube in Farnach verbracht und sich mit Anni, der Tochter des Zimmervermieters, angefreundet. Sowohl die Urlaube als auch die Freundschaft reichen bis zum 15. Lebensjahr Kowalskis, danach bricht der Kontakt nach einem schrecklichen Unwetter mit Todesfolge ab, Kowalski informiert sich ab da aber jeden Tag über das Wetter in Farnach. Nach der „Wetten, dass…“-Sendung fährt Kowalski noch einmal nach Farnach, wo er erfährt, dass Anni den ihm verhassten Lukki heiraten wird, was er unbedingt verhindern will. Schließlich kommt es zu einem weiteren Todesfall …

Im Lauf des Interviews werden die Geschehnisse entwickelt, die zu dieser Situation geführt haben, die Handlung des fiktiven Buches wird ausgebreitet und seine Stilmittel besprochen. Man liest also über ein Buch, das nie geschrieben wurde, ein Phantombuch. Trotzdem ist das Ganze unterhaltsam und spannend. Einerseits ergeben sich unerwartete Handlungsmotive (da zeigt sich doch wieder das detektivische Gespür von Haas), andererseits wird die Darstellungstechnik immer wieder hinterfragt: Warum wird diese Metapher so stark strapaziert? Warum wird dieses Motiv über so viele Seiten ausgebreitet? Warum wird die spannendste Phase in gerade mal zwei Sätzen lakonisch abgehandelt? Die Fragen der Interviewerin sind die einer empathischen Leserin, die Antworten sind oft leicht ironisch bzw. selbstironisch. Auf jeden Fall aber laden sie ein über das Verhältnis zwischen Text, Autor und Leser nachzudenken.

Aber es wäre kein Wolf Haas, wenn es nicht am Schluss noch einen Knalleffekt gäbe – es darf spekuliert werden …

Wolf HAAS: Das Wetter vor 15 Jahren.

Roman. Hoffmann und Campe 2006. 223 Seiten.

Signatur: D / HAA

 

© Mag. Liesbeth Schön

Bild © Anna Kauer, 4C, 2017