Grillparzer, Franz: Das Kloster bei Sendomir.

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Stilistisches Glitzern

Nicht nur ist die Handlung dieser Erzählung aufregend, nicht nur ist es erschütternd, wie ein überaus guter Mensch aus übergroßer Enttäuschung zum Mörder wird, sondern vor allem ist der Text ein außergewöhnliches Lese-Erlebnis, was den Stil betrifft. Die Erzählung ist ein Musterbeispiel, wie man sich im 19. Jahrhundert bemühte, alles möglichst „unbanal“ auszudrücken. Für den Leser ist das, als beträte man die Höhle Ali Babas, wo einem aus dem Halbdunkel Berge von sprachlichem Gold und Wort-Edelsteinen entgegenfunkeln. Beispiel gefällig? Gleich vom Anfang, wo – vielleicht zu Beginn des 19. Jh. – zwei Reiter in einem neugotischen Kloster nahe der Stadt Sendomir in Polen Quartier genommen haben und ein Zimmer zugewiesen bekommen haben:

„Die beiden Fremden traten in das angewiesene Gemach, welches, obgleich, wie das ganze Kloster, offenbar erst seit kurzem erbaut, doch altertümliche Spitzformen mit absichtlicher Genauigkeit nachahmte. Weniges, doch anständiges Geräte war rings an den Wänden verteilt. Die hohen Bogenfenster gingen ins Freie, wo der in Osten aufsteigende Mond, mit der letzten Abendhelle kämpfend, nur sparsame Schimmer auf die Erhöhungen des hüglichten Bodens warf, indes in den Falten sich allgemach die Nacht mit ihrem dunkeln Gefolge lagerte, und stille Ruhe, hold vermischend, ihren Schleier über Belebtes und Unbelebtes ausbreitete.

Die eigenen Diener der Ritter trugen Wein auf und Abendkost. Ein derbgefügter Tisch, in die Brüstung des geöffneten Bogenfensters gerückt, empfing die ermüdeten Gäste, die, auf hohe Armstühle gelagert, sich bald an dem zauberischen Spiele des Mondlichtes ergetzten, bald, zu Wein und Speise zurückkehrend, den Körper für die Reise des nächsten Tages stärkten.“ (S. 1081f).

Als die beiden sich zur Ruhe begeben wollen, erscheint ein älterer Mönch, dessen feuriger Blick so gar nicht zu seinem Habit passen will. Die beiden Gäste verwickeln ihn in ein Gespräch, sodass er schließlich bereit ist, ihnen die Geschichte dieses neu erbauten Klosters zu erzählen.
Die Erzählung des Mönchs ist die eigentliche Erzählung, das ganze Werk ist also eine Rahmenerzählung. 
Grillparzer schafft zwischen Rahmen und Erzählung einen allmählichen Übergang, statt, wie es gelegentlich auch geschieht, da einen abrupten Bruch zu machen. Der Mönch ist erst nach einigem Bereden bereit, mit der Geschichte herauszurücken, und er unterbricht sich auch anfangs immer wieder, um die beiden Zuhörer zum Beispiel etwas zu fragen.

Handlung

Er erzählt die tragische Geschichte des Grafen Starschensky, der hier neben dem Kloster ein Schloss besaß, dessen Ruinen noch zu sehen sind, in Warschau sich in ein Mädchen verliebte und dessen verarmten Vater und Brüder selbstlos fast bis zum eigenen Bankrott unterstützte. Sich solchermaßen um die Familie verdient gemacht habend, wagt er es, um die Hand des Mädchens, Elga, anzuhalten. Er wird erhört, heiratet, zieht, als seine finanzielle Situation brenzlig wird, von Warschau wieder auf sein Landgut, Elga geht gerne mit, bringt eine Tochter zur Welt – alles verläuft idyllisch. Bis der Gutsverwalter dem Grafen mitteilt, dass sich nachts immer wieder eine dubiose Gestalt in der Nähe des Schlosses herumtreibt. Zufällig entdeckt der Graf um diese Zeit in einem Geheimfach der Schmuckschatulle seiner Frau das Bildnis ihres Vetters Oginsky und stellt eine frappierende Ähnlichkeit zwischen diesem und seiner Tochter fest. Der nächtliche Besucher wird ertappt, kann aber fliehen. Der Graf ist sicher, es handle sich um Oginsky, stellt seine Frau zur Rede, doch diese leugnet.

In Warschau erkundigt sich der Graf bei den Brüdern Elgas nach Oginsky, erfährt, dass dieser tatsächlich in Elga verliebt gewesen sei, er spürt ihn auf und entführt ihn in sein Schloss, genauer gesagt in eine nahe gelegene Aussichtswarte. Dort kommt es zu einer nächtlichen Gegenüberstellung mit Elga, die weiterhin die Verbindung leugnet. Der Graf will Oginsky, der alles gesteht, zum Duell fordern, doch dieser kann aus dem Fenster springen und entfliehen. In ohnmächtiger Wut will nun Starschensky wenigstens Elga töten, doch sie fleht um ihr Leben. Da will der Graf herausbringen, ob sie wenigstens als Mutter handeln werde, und sagt, er werde sie am Leben lassen, wenn sie die Tochter töte. Als sie angesichts der Waffe in Starschenskys Faust tatsächlich die Tochter mit einer Nadel erstechen will, ist das für den Grafen der Beweis, dass es in ihrer Seele nur „schwarz und Nacht“ sei und sie den Tod verdient habe. Er ersticht Elga und zündet dann über der Leiche die Warte und das ganze Schloss an, sodass sein Mord als Unfall getarnt ist. Die Tochter gibt er zu einer Köhlersfamilie, selbst verkauft er sein Landgut und stiftet mit dem Erlös eben dieses Kloster.

Was aus dem Grafen geworden sei, fragen die Gäste. Man ahnt es und hat es von Anfang an geahnt: Der seltsame Mönch ist selbst der Graf, der hier ein Büßerleben führt. Den ganzen Tag verrichtet er die niedrigsten Dienste, und jeweils um eins in der Nacht, der Todesstunde Elgas, muss er offenbar brutale Bußübungen machen, vor denen ihm selbst graut. Denn just um eins ist er mit seiner Erzählung fertig und der Abt, vor dem Starschensky sich wie ein ängstlicher Hund aus dem Zimmer drückt, holt ihn.

Am nächsten Morgen wollen die Gäste vom Abt mehr über den Grafen erfahren, doch dieser gibt sich zugeknöpft. Sie beschließen, auf der Rückreise von Warschau, das ihr Ziel ist, weitere Erkundigungen einzuziehen, doch die Rückreise muss über eine andere Strecke genommen werden und deshalb erfahren die beiden – und die Leser – nichts mehr von dem unglücklichen Grafen, der „in verdammlicher Übereilung Verbrechen bestraft durch Verbrechen“ (S. 1106).

Übrigens soll die Geschichte „nach einer als wahr überlieferten Begebenheit“ verfasst sein.

Rache und Selbstbestrafung

Hierin scheint die Kernaussage der Novelle anzuklingen: Wer ein Verbrechen durch ein Verbrechen rächt, der wird unglücklich und verfehlt sein Ziel. Starschensky hätte also Elga vergeben sollen, statt sie „bestrafen“ zu wollen, denn ihm als Einzelmensch steht die Bestrafung des Ehebruchs nicht zu. Interessant, dass Grillparzer nun die Selbstbestrafung des Grafen sozusagen als „Lösung“ anbietet. Ob das in Wirklichkeit funktioniert? 

Was Grillparzer völlig außer Acht lässt, ist der juristische Aspekt. Warum wird Starschenksy nicht vor Gericht gestellt, warum stellt er sich nicht selbst, sondern nimmt seine „Absolution“ selbst in die Hand? Das ist ja auch eine Form von Selbstjustiz, die nicht in Ordnung ist. Als Mörder verdient er Strafe, und das ist etwas anderes als freiwillige Buße, möge sie noch so hart sein.

Franz Grillparzer: Das Kloster bei Sendomir.

Enthalten in: Franz Grillparzer: Werke in einem Band. Sonderausgabe. Harenberg Kommunikation, 1982. S. 1081 – 1107

Zu finden unter: D / GRI


© Mag. Wolfgang Krisai