Österreichische Geschichte, Ergänzungsband: Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich.

Ist das vielleicht gar der erste Band der Österreichischen Geschichte, den ich ganz gelesen habe? Möglicherweise. Am Band über die Urgeschichte bin ich ja gescheitert. Dieser hier war nun wesentlich interessanter und lesbarer, auch wenn sich die Wissenschaftlerinnen nicht gerade als brillante Formulierungskünstlerinnen, sondern eher als Meisterinnen des Passivs erweisen. In dieser Hinsicht ist der Band eine Fundgrube für den Deutschunterricht. Außerhalb der Wissenschaft gerät das Passiv ja in Vergessenheit.

Inhalt-Schlaglichter

Noricum war zunächst keine römische Provinz, während das Raetien und Pannonien schon waren, sondern ein mit Rom im Bündnis stehendes selbstständiges Königreich. Die anderen beiden Provinzen hatten sich gewaltsam den Römern widersetzt und dadurch nach der Eroberung ihre Eigenständigkeit gleich verloren. Noricum hingegen musste gar nicht erobert werden, sondern schloss sich sozusagen freiwillig dem Reich an. Erst später wurde es eine regelrechte Provinz.

Die Städte und Ortschaften, die über das Gebiet des heutigen Österreich verstreut liegen, kennt man aus dem Geschichtsunterricht: Brigantium (Bregenz), Aguntum (bei Lienz), Teurnia (bei Spittal am Millstättersee), Flavia Solvia (südlich von Graz), Iuvavum (Salzburg), Ovilava (Wels), Lauriacum (Lorch), Lentia (Linz), Aelium Cetium (St. Pölten), Vindobona, Carnuntum. Zwischen ihnen gab es N-S-Verbindungen, die weiter nach Italien führten (über den Reschenpass, den Brenner, den Neumarkter Sattel, und ganz im Osten um die Alpen herum die seit langem bestehende Bernsteinstraße, die durch Carnuntum führte.

Carnuntum

Der bedeutendste Ort war Carnuntum, in dem sich auch eine markante historische Ereignisse abspielten. Marc Aurel starb dort, Severus wurde dort zum Kaiser ausgerufen, es gab in der Mitte des 3. Jh. n. C. eine Kaiserkonferenz, um Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Kaisern auszuräumen (die aber ziemlich wirkungslos blieb), schließlich verwüstete ein Erdbeben den Ort, der aber wieder aufgebaut wurde.

Eine wichtige Zeit für das Gebiet war die Zeit der Soldatenkaiser, denn diese waren häufig in den Grenzregionen unterwegs, da dort die römische Heeresmacht konzentriert war. Mit der Zeit siedelten sich immer mehr Germanen, zum Beispiel germanische Soldaten, die ehemals in römischem Dienst waren, in den Randgebieten des Reiches, also auch in Österreich, an. So kam es zu einer Durchmischung der römischen und der germanischen Kultur, sofern die Germanen nicht in geschlossenen Gebieten lebten, wo sie praktisch autonom herrschten. Die Koexistenz scheint halbwegs funktioniert zu haben, wenn die Germanen auch immer zu Erhebungen neigten, wenn der Sold ausblieb oder sie sich sonstwie benachteiligt sahen.

In der Spätantike verfiel die römische Macht in unserer Gegend immer mehr, das Geld wurde drastisch entwertet, sodass man weitgehend zur Naturalwirtschaft überging, die Bevölkerung nahm ab, Heeresteile wurden abgezogen, was zu einer breiten Abwanderung führte, Germaneneinfälle führten zu lokalen Zerstörungen. Die in den Tälern gelegenen Siedlungen erhielten Stadtmauern oder wurden verlassen, man legte auf Hügeln, die sich leichter verteidigen ließen, neue Siedlungen an. Natürlich kam nach und nach das Christentum, man denke an den Hl. Florian, der in Lauriacum das Martyrium erlitt, oder an Bischof Severin, der ein sehr populärer und mächtiger Führer war. Auf dem Hemmaberg in Kärnten befinden sich die Reste eines großen Wallfahrtszentrums mit vier Kirchen, von denen zwei Taufkirchen waren. Die Verdoppelung erklärt sich aus der friedlichen Koexistenz von Arianern und Katholiken – als diese aufhörte, machte man die arianischen Kirchen zu Profanbauten.

Vieles noch ungesichert

Interessant ist auch, wie wenig man eigentlich gesichert weiß. Die Autorinnen weisen immer darauf hin, wenn etwas nur eine Vermutung ist – und sie müssen das oft genug machen. Aus schriftlichen Quellen ist ja fast gar nichts zu erfahren, die Archäologie gibt schon mehr Aufschluss. Allerdings ist vieles noch nicht ergraben oder bei unsachgemäßen Grabungen der Vergangenheit verloren gegangen. Heute hat man zudem neue Möglichkeiten der Archäologie, die dort eingesetzt werden, wo Grabungen noch nicht oder gar nicht möglich sind: Auf Luftbildern zeigen sich die Grundmauern römischer Bauten durch Farbveränderungen im Oberflächenbewuchs. Außerdem gibt es eine irgendwie den Magnetismus nutzende Methode, die ganze Stadtpläne, etwa von Carnuntum, dem Auge zugänglich macht, von denen man an der Oberfläche überhaupt nichts sieht.

Natürlich macht so ein Buch Lust auf die Besichtigung römischer Reste. Es gibt aber selbst viel zu wenig Auskunft darüber, was man heute wo besichtigen kann. Da wäre eine informativer Anhang sehr nützlich.

Ergänzend zu diesem Buch ist eine Lektüre von Kurt Mündl: „Weltstadt im Lande der Barbaren“ sinnvoll, das ein sehr lebendiges Bild vom Leben in Carnuntum vermittelt.

Österreichische Geschichte, Ergänzungsband: Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich. Von Verena Gassner, Sonja Jilek und Sabine Ladstätter.

Ueberreuter, Wien 2002. 368 Seiten Text.

Systematik GO/ÖST

©  W. Krisai