Hesse, Hermann: Siddhartha. Eine indische Dichtung.
Buchtipps | Literatur
Natürlich war es nicht das erste Mal, dass ich dieses Buch gelesen habe. Allerdings ist mir kaum mehr als eine vage Erinnerung daran geblieben, und die starke Wirkung, die es auf viele andere Leute damals gehabt hat, hat sich bei mir nicht eingestellt – auch diesmal nicht. Dennoch habe ich die Lektüre genossen.
Ich bin zwar nicht gerade ein Freund dieses allzu absichtlich legendenhaft repetitiven Stils, in dem Hesse zum Glück nur dieses eine Buch geschrieben hat, aber wenn man davon einmal absieht, kann dieses Buch schon einigen Stoff „zum Nachdenken“ bieten.
Siddhartha geht einen Weisheitsweg, einen Weg der Selbstfindung, und ist damit Sprachrohr des Autors, der selbst als ein Weiser der Selbstfindung für viele gilt. Der junge Brahmanensohn schließt sich gegen den Willen des Vaters einem strengen Asketenorden, den Samanas, an, und lernt dort, seinen Körper und seine Gedanken zu beherrschen. Denken, Warten und Fasten – das sind später seine großen Fähigkeiten, mit denen er die Welt bezwingt. Gemeinsam mit seinem Jugendfreund Govinda, der mit ihm Samana geworden ist, besuchen sie Gotama, den Buddha, und Govinda schließt sich ihm an, während Siddhartha sich dazu nicht durchringen kann. Er erkennt, dass er sich keiner Lehre und keinem Lehrer mehr anschließen kann, sondern nur noch seiner inneren Stimme folgen will.
Diese treibt ihn in die Stadt, wo er die Kurtisane Kamala kennen lernt, die ihn, sobald er sich kultiviert hat, in die Geheimnisse der Liebe einweiht. Daneben schließt sich Siddhartha einem reichen Kaufmann an und wird selbst reich. Aber über all dem Reichtum verliert er seine innere Unabhängigkeit. Als ihm dies schlagartig bewusst wird, reißt er das Steuer seines Lebens herum und verlässt Kamala und die Stadt. Kamala aber ist von ihm schwanger.
Siddhartha zieht an den großen Fluss und wird Freund und Mitarbeiter des Fährmanns. Nun lernt er vom Fluss. Er begegnet Govinda wieder, doch dieser hat kein Verständnis für die in seinen Augen verqueren Ansichten seines ehemaligen Freundes. Eines Tages kommt auch Kamala an den Fluss, wird aber, als sie übersetzen will, von einer Giftschlange gebissen. In Siddharthas Armen stirbt sie – versöhnt mit ihm und den Leben.
Ihren gemeinsamen Sohn, der ebenfalls Siddhartha heißt, nimmt Siddhartha nun in seine Obhut, doch der verwöhnte Jüngling will nichts von seinem Vater und dessen kargem Leben wissen. Siddharthas beharrliche Liebe und Nachgiebigkeit reizen ihn nur zu immer böserem Widerstand. Der Sohn entläuft, und Siddhartha kann ihn nicht mehr zurückbringen. Nun aber entsagt er innerlich auch der Liebe zum Sohn, genauer: die Liebe steigt auf eine höhere Ebene der Selbstlosigkeit, und Siddhartha dringt damit zu höchster Weisheit vor.
Seine Weltsicht: Alles ist Einheit, alles ist zugleich, Geburt und Tod, alle Phasen des menschlichen Lebens erscheinen dem Menschen nur zeitlich getrennt, sind aber im Grunde eins. Entsagung bringt die wahre Erfüllung, denn irgendwelchen Genüssen nachzurennen ist vergeblich und führt nur in die Enttäuschung. In der Einfachheit liegt das wahre Leben.
Als Siddhartha vom Fluss all dies gelernt hat, endet der Roman.
Hesse, Hermann: Siddhartha. Eine indische Dichtung.
Signatur: D / HES
© W. Krisai
Bild © Paulina Pottmann, 4Am, 2017