Grillparzer, Franz: Die Ahnfrau
Buchtipps | Literatur
Grillparzer wird unterschätzt, und die Ahnfrau erst recht. Weil man sich nicht vorstellen kann, dass Menschen unter solch einem Fluch des Schicksals stehen, wie es in diesem Stück der Fall ist. Dabei ist das überhaupt nicht abwegig, sondern vielmehr ganz realistisch, obwohl die Thematik hier in das Gewand einer dramatisierten Gothic Novel gekleidet ist. Das passt übrigens ausgezeichnet, denn die Stimmung, die hinter der Gothic-Bewegung zu stehen scheint, ist ja genau so düster, wie es zu einem unentrinnbaren Schicksal passt. Was kann das unentrinnbare Schicksal sein? Eine Veranlagung, die einen zwangsläufig unglücklich machen muss. Anderssein. Ein Outsider zu sein.
Der Familienfluch
Grillparzer hat das Thema in eine Familiengeschichte eingekleidet: Die Familie derer von Borotin steht unter einem Fluch, seit vor vielen Jahren eine Ahnin ihren Mann mit einem Dolch – der noch immer in der Halle des alten Schlosses, in der der die ersten vier Aufzüge spielen, hängt – erstochen hat, eines Liebhabers wegen. Seither sterben die Mitglieder der Familie reihenweise eines unnatürlichen Todes, und die Mörderin von einst geht so lange als Geist durchs Schloss, bis auch der Letzte der Familie tot ist.
Handlung
Zu Beginn der Stücks leben nur noch zwei Familienmitglieder: der alte Graf Zdenko von Borotin und seine Tochter Bertha. Diese ist gerade von einem edlen jungen Mann aus den Händen einer Räuberbande gerettet und ins Schloss gebracht worden. Bertha hat sich natürlich in ihren Retter Knall und Fall verliebt, und auch dieser ist nicht abgeneigt. Der Vater, der insgeheim hofft, dem Familienfluch ein Schnippchen zu schlagen, gibt die Tochter gerne dem mutigen Manne als Verlobte. Doch da kommt ein Trupp Bewaffneter unter Führung eines Hauptmanns, die den Auftrag haben, die Gegend endgültig von allen Räubern zu säubern. Sie quartieren sich im Schloss ein und gehen sofort auf Räuberjagd in der unmittelbaren Umgebung. Jaromir – so heißt Berthas neuer Verlobter – schläft schon. Oder doch nicht. Denn Bertha trifft ihn angekleidet und verletzt im Schlafzimmer an. Er war aus dem Fenster geklettert, hatte einen Zweikampf, konnte sich wieder ins Schlafzimmer retten. Als dann aber einer aus des Hauptmanns Truppe kommt und Bertha fragt, ob sie einen Mann kenne, der diese Schärpe trage, von der er im Zweikampf einen Teil abgerissen habe, denn das sein einer der Räuber, erkennt Bertha, was für einer Jaromir wirklich ist. Doch dieser beschwört sie, an ihn zu glauben. Er habe dem Räuberdasein abgeschworen, wolle mit ihr in die Niederlande flüchten und dort auf einem Schlösschen als ehrlicher Mensch leben. Bertha lässt sich überzeugen, denn sie liebt ihn. Jaromir nimmt den alten, rostigen Dolch der Ahnfrau an sich und stürzt davon.
Graf Zdenko hat sich verpflichtet gefühlt, selbst bei der Räuberjagd mitzuwirken. Nun hört man ihn einen Todesschrei ausstoßen. Und wirklich: Er wird schwer verwundet hereingetragen. In einem Geheimgang des Schlosses hat er einen Räuber gestellt und ist von diesem schwer verwundet worden. Dem Zuseher ist klar: Das war Jaromir.
Da kommt einer der Räuber, Boleslav, der gefangen genommen wurde und unbedingt etwas zu beichten hat: Einst hatte er den dreijährigen Sohn des Grafen als Geisel genommen, die Räuberbande wollte den Buben töten, doch Boleslav hatte Mitleid und zog ihn als seinen Sohn auf. Es war Jaromir. Als der Graf dies erfährt, stirbt er. Bertha verzweifelt und verliert den Verstand.
Der letzte Akt spielt vor der Schlossmauer. Jaromir erfährt von dem entflohenen Boleslav seine wahre Identität, will den gräflichen Vater noch retten, da erklingt aus der Kapelle Totengesang. Jaromir steigt dort ein. Letzt Szene in der Kapelle: Die Ahnfrau erscheint Jaromir, zeigt ihm den toten Vater und seine tote Schwester Bertha, woraufhin auch er tot zu Boden sinkt. Der Hauptmann mit seinen Männern kommt zu spät, um ihn noch lebend anzutreffen.
Gestaltung des Stücks
Das Stück ist in vierhebigen Trochäen geschrieben, die sich gelegentlich sogar reimen. Das kurzatmige Versmaß ist vielleicht nicht gerade glücklich gewählt. Man muss es als manieristisches Stilmittel sehen, so wie die Leute aus der Gothic-Szene sich extrem schminken. Auffällig sind die oft seitenlangen monologischen Ausführungen der Figuren.
Die Rolle der geisternden Ahnfrau bleibt seltsam blass. Sie taucht zwar mehrmals auf, aber sie kann nicht direkt ins Geschehen eingreifen. Die Lebenden müssen ihr Schicksal selbst vollenden, und sie tun das auch mit unvermeidlicher Konsequenz.
Grillparzers durch und durch pessimistische Lebenseinstellung dringt hier durch. Alles, was passiert, wendet sich zum Schlechtesten.
Grillparzer, Franz: Die Ahnfrau.
Trauerspiel in fünf Aufzügen.
Uraufführung 1817 am Theater an der Wien.
Signatur: D / GRI
© W. Krisai, 2011. Bild: „Altes Gemäuer“, W. Krisai, 1996: Aquarell, digital nachbearbeitet.